Gottfried Heinrich Stölzel: Aria «Bist du bei mir, geh ich mit Freuden», aus «Diomedes oder die triumphierende Unschuld» (1718), lange J. S. Bach (BWV 508) zugeschrieben

Gottfried Heinrich Stölzel
geboren 23. Januar 1690 in Grünstädtel, Deutschland
gestorben 27. November 1749 in Gotha, Deutschland
Uraufführung:
1718 Oper "Diomedes oder die triumphierende Unschuld" in Bayreuth
Empfohlene Aufnahmen:
1997 Emma Kirkby, Sopran
2018 Charles Daniel, Tenor
Zur Rezeptionsgeschichte:
Zwischen 1734 und 1740 trug Anna Magdalena Wilcke Bach die Arie «Bist du bei mir, geh ich mit Freuden» für eine Singstimme und Continuo (heute BWV 508) in ihr zweites Notizbuch ein. In sochen Notenbüchlein pflegten die Bachs ihre Familien-Hits zum Üben und gemeinsamen Musizieren zu sammeln.
Die Aria hatte auf zwei Seiten Platz. Warum auch immer, fügte Frau Wilcke Bach zwischen diese beiden Seiten noch eine Abschrift der bekannten Aria aus den Goldberg-Variationen ihres Ehemanns hinzu.
1866 wurde «Bist du bei mir…» vom Bach-Biografen Carl Hermann Bitter erstmals publiziert.
1892 und 1894 folgten zweimal Publikationen der Bach-Gesellschaft, mit dem Vermerk, dass diese Komposition «wohl eine Composition Johann Sebastian's sein" könnte
1915 wurde in der Bibliothek der Sing-Akademie zu Berlin ein anderes Manuskript entdeckt, das 5 Arien des Komponisten Gottfried Heinrich Stölzel (1690 – 1749) enthielt, darunter eine orchestrierte Fassung der als von Bach stammend bekannten Aria «Bleib bei mir…» für männliche Singstimme.
Unbeachtet davon begann anfangs 20. Jahrhundert der öffentliche Erfolg dieser berührend schönen Melodie, und es entstanden viele Aufnahmen dieser Arie von bekannten Sängerinnen (von Blanche Marchesi erstmals 1906, über Lotte Lehmann 1929, bis Elisabeth Schwarzkopf 1954). Als Komponistennamen war immer J.S.Bach aufgeführt. Vor allem bei Hochzeiten und als sakrale Musik wurde «Bleibe bei mir, geh ich mit Freuden» gerne aufgeführt, meist von Frauen gesungen.
1945: Während des 2. Weltkrieges ging das Archiv der Sing-Akademie Berlin und damit auch das Stölzel-Manuskript der Arie «Bleib bei mir…» verloren.
1950 wurde «Bleibe bei mir…» in die erste Edition des Bach-Werk-Verzeichnis als BWV 508 aufgenommen.
1957 wurde die Arie in der Neuen Bach Edition publiziert, wobei im kritischen Kommentar die Orchesterfassung von Bach als «verloren gegangen» bedauert wurde.
Noch in der 1998er Edition der Bach Werke wurde die Arie nicht in den Anhang versetzt, obwohl man vom Stölzel Manuskript Kenntnis hatte.
1999, nach der Wende, wurde das verlorene Archiv der Sing-Akademie zu Berlin in Kiew vollständig wiederentdeckt. 2009 wurde dessen Katalog veröffentlicht und die 5 Arien im Stölzel-Manuskript als Arien aus der verlorenen Oper «Diomedes oder die triumphierende Unschuld» von Gottfried Heinrich Stölzel identifiziert. Nicht Bach also hat diese einmalig schöne Melodie komponiert, sondern Gottfried Heinrich Stölzel in seiner Oper Diomedes (Uraufführung 1718 in Bayreuth). Ob diese ergreifende Melodie auch ebenso bekannt geworden wäre, wäre sie nicht Bach zugeschrieben worden, bleibt ein Geheimnis dieser Rezeptionsgeschichte.
Zum Inhalt:
Doch ein weiteres «Geheimnis» ist wohl noch interessanter. Wer ist dieses Du, das zum Sterben so bei mir ist, dass ich «mit Freuden zum Sterben und zur Ruh» gehe? Worum geht es in dieser Arie? Was ist ihr Kontext?
In der Oper «Diomedes oder die triumphierende Unschuld» geht es laut dem aus dem Jahr 1718 erhaltenem Libretto um Folgendes: Diomedes, ein griechischer Held, ist tief und voll Hingabe verliebt in Cleonice. Die Arie preist die Nähe der Geliebten. Cleonice wird die Basis seines Lebens, die es ermöglicht, dass er mit Freuden auf seinem Lebensweg als Held unterwegs sein kann. Selbst den Tod vor Augen, feiert die Arie die tröstende Macht der Liebe und die Nähe der Geliebten.
Einen anderen Kontext erfand anfangs 20. Jhd. eine Erzählung von Kurt Arnold Findeisen. Im Hause Bach begann Anna Magdalena diese Arie zu singen, als Bach mit einer Todesbotschaft nach Hause kam und sie sich ihm tröstend zuwandte. Sie feierte singend die Nähe des Ehepartners.
Wiederum ein anderer Kontext: Prediger im Rundfunk erspürten in dieser Arie eine sakrale Atmosphäre in Klang und Text. Das an-gesprochene Du erinnere an die uns zu-gesprochene Nähe Christi und den Trost bei Gott.
Kein Hören ist allein richtig, auch nicht bei dieser ergreifenden Melodie. Wie immer man diese Musik empfindet, sie vermittelt dem offenen Geist – säkular oder religiös - 3 Minuten Liebe.
Hier zu hören (ca. 3 Min.)!
Frauenstimme
Männerstimme
Hörbegleiter (in Form der Partitur)
Die Aria in da Capo-Form steht in Es-Dur. Die Texte werden je zweimal gesungen. Am Schluss wird der erste Textteil nochmals wiederholt, allerdings melodisch nur als zweiter Teil.
Aus dem Manuskript mit Arien von Gottfried Heinrich Stölzel:



Bist du bei mir, geh ich mit Freuden
zum Sterben und zu meiner Ruh.
Ach, wie vergnügt wär so mein Ende,
es drückten deine schönen Hände
mir die getreuen Augen zu.“
Bist du bei mir, geh ich mit Freuden
zum Sterben und zu meiner Ruh.
Aus dem Notenbuch der Anna Magdalena Bach:


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