Roxana Panufnik: Three Paths to Peace (2008) for orchestra

Roxana Panufnik

geboren 24 April 1968

 

Uraufführung und Auftrag

 

uraufgeführt im Jerusalem Theatre, Jerusalem,  im Oktobeer 2008, als Orchester-Prelude nach dem Violinkonzert „Abraham“, mit christlichen, jüdischen und islamischen Gesängen und Musik,
im Auftrag des World Orchestra for Peace.

 

 

Dieses ca. 12-minütige Orchesterstück entstand aus existentiellem Anlass im Leben der Komponistin Roxana Panufnik. Sie sagte selbst in einem Interview:

«Ich habe ein Violinkonzert namens «Abraham» für Daniel Hope geschrieben. Als 9/11 passierte, war ich mit meinem ersten Kind schwanger. Ich war völlig entsetzt darüber, in was für eine Welt ich sie hineinbringen würde. Das Violinkonzert basiert auf der Geschichte von Abraham, der seinen Sohn Isaak opfert, und sie kommt in allen drei Glaubensrichtungen vor. Ich wollte das Stück mit einem islamischen Gebetsruf beginnen. Ich habe zwei Mullahs konsultiert - einen schiitischen und einen sunnitischen - und der eine sagte: „Gut, fang an“, aber der andere sagte: „Ich denke nicht, dass du das tun solltest - warum hörst du dir nicht viele davon an und schaust, was die gemeinsamen Elemente sind und schreibst dann einen eigenen? Das habe ich also getan… Aber ich denke auch, dass man mit kultureller Aneignung sehr vorsichtig sein muss - die Menschen sind da sehr empfindlich. Wenn ich mit Menschen anderer Nationalitäten oder Glaubensrichtungen arbeite, arbeite ich sehr eng mit ihnen zusammen.»

Zum Inhalt dieses Orchesterstücks sagte sie weiter: «Es beginnt mit einem quasi islamischen ‚Gebet‘. Ich habe mich von verschiedenen Mullahs beraten lassen und den Rhythmus der Worte, die Vierteltöne, die schönen, kunstvollen Verzierungen und die Art und Weise, wie sie sich bewegen, verwendet. Für die jüdische Musik habe ich ein traditionelles Gebet [aschkenasischer jüdischer Gesang] und Schofar-Hornrufe verwendet. Und bei der christlichen Musik habe ich Kirchenglocken verwendet, und es gibt auch Klagelieder. Die Idee ist also, dass Abraham in letzter Minute, als er seinen Sohn [Isaak] töten will, einen Aufschub erhält und der Engel herabkommt, um ihn davon abzuhalten. Und das führt zum letzten Teil des Stücks, der all diese verschiedenen musikalischen Elemente aus allen drei Religionen in einem freudigen und harmonischen Schluss vereint.»

Den Auftrag zu dieser Komposition erhielt Roxana Panufnik vom jeweils ad hoc zusammengestellten, von Georg Solit gegründeten World Orchestra for Peace. Sie baten mich, aus dem Violinkonzert «Abraham» ein etwas kürzeres Orchestervorspiel zu machen und die Solostimme ins Orchester einzubeziehen. Paradox aus heutiger Sicht: dass die Uraufführung damals von Valery Gergiev dirigiert wurde, einem Unterstützer Putins und dessen Angriffskrieges gegen die Ukraine! Um so mehr sind paths to peace nötig.

 

Hier zu hören!

 

Hörbegleiter:

 

Eine Solo-Viola beginnt mit einem der rezitativisch-muslimischen Musiktradition angelehnten Gebetsruf. Kurze Stille. Eine Sologeige führt diesen Ruf fort, mit leichten Verzierungen erweitert. Glockenschläge erklingen. Eine nächste Sologeige übernimmt, von den Glockenklängen begleitet, diesen Aufruf. Der Anruf an die einzelnen Instrumente überträgt sich wie ein mittelalterlicher Plainsong auf den ganzen Orchesterchor. Harfen, Klavier mischen sich in die Glockenklänge und harmonisieren den Einsatz eines Solocellos und weiteren Orchesterchorgesang mit Melodien, die auf die drei musikalischen Traditionen geistlicher Musik im Islam, Judentum und Christentum hinweisen.

Aus diesem schwebenden Gesamtklang tritt die Sologeige hervor, meditiert vor sich hin, ihr folgt eine Bratsche, die mit ihr in Dialog tritt. Eine Oboe beschwört Shofar-Rufe herauf.  Langsam baut sich in immer vollerem Klang ein Orchester-Cluster auf und versinkt wieder in Stille und in einzelne Glockenschläge.

Als ob sich Abraham entschieden hätte, macht sich die Sologeige zögernd auf den Weg, dem Anruf zu folgen. Trommelsoli - nach Roxana Panufnik aus der Sufi-Tradition stammend - geben einen Rhythmus vor, dem es zu folgen gilt. Nun stimmen auch als neue Klangschicht Holz- und Blechbläser in den Orchesterchor mit ein. Basstuben spielen Melodien, weitere Melodien mischen sich dissonant dazu, Schicht um Schicht wird das Orchester aufgebaut und steuert auf den grausamen Höhepunkt des vermeintlich gehorsam zu vollziehenden Menschopfers zu: die sogenannte Opferung Isaaks.

Doch dann greift die Humanität ein, in Form einer schockierten Sologeige (ein Engel gemäss der Abraham-Geschichte), dann ruft auch die Bratsche des Anfangs und gebietet Einhalt. Wie in einer gemeinsamen musikalischen Kadenz verständigen sich Bratsche und Geige, einander gleichsam zustimmend, dass seit Abraham und Isaak Menschenopfer keine von Religionen verlangte Wege zu Gott mehr sind.  

Das Orchester stimmt in feinsten Harmonien mit ein. Klarinetten spielen Figurationen und Geigen beginnen zu singen. Harfen, Glocken und Klavierläufe erweitern den Klang, Melodien aus allen musikalischen Traditionen tauschen sich aus und bilden einen einheitlich neuen Gesamtklang. Zuletzt erinnert der Schlusston a’’ einer Geige an das A wie A-braham, an diesen  gemeinsamen Pfad-Sucher nach Gott.  Die Komponistin will durch ihre Musik deutlich machen: «Die wichtigste Tatsache über das Christentum, das Judentum und den Islam ist, dass sie alle an denselben einen Gott glauben…. Und es ist wirklich interessant, denn die Gesänge dieser drei Religionen stammen alle von demselben Ort im Nahen Osten» (Roxana Panufnik).

Hinweis für Musikinteressierte:

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