
Ethel Smyth: Gloria, aus der Messe in D, for Soli, Chorus, and Orchestra (1891)

Ethel Smyth (sprich: Sm[ai]th) schrieb im Rückblick auf ihre Messe in D, ihrem einzigen geistlichen Werk, das sie mit 34 Jahren komponierte und womit sie bei der Uraufführung am 18. Januar 1893 in der Royal Albert Hall in London die männlich geprägte Musikwelt in London durch ihr kompositorisches Können völlig überraschte:
„Alles, was in meinem Herzen war, legte ich in dieses Werk, aber kaum war es vollendet, wich der orthodoxe Glaube merkwürdigerweise von mir, um niemals zurückzukehren […] Wer soll den göttlichen Plan ermessen? Nur das will ich sagen: in keinem Abschnitt meines Lebens fühlte ich mich vernünftiger, weiser und der Wahrheit näher. Niemals war mir diese Phase – im Vergleich zu anderen, die darauf folgten – überreizt, unnatürlich oder hysterisch erschienen; es war einfach eine religiöse Erfahrung, die in meinem Fall nicht von Dauer sein konnte.“
Motiviert war diese Komposition nicht nur religiös, sondern auch durch Ethel Smyth’s tiefe Liebe zu ihrer katholischen Freundin Lady Pauline Trevelyan. Obwohl Ethel Smyth die Messe in lateinischer Sprache vertonte, war es keine Messe für die Liturgie. Sie stellte aus musikalischen Gründen (und einer anglikanischen liturgischen Tradition folgend) das Gloria an den Schluss der Satzfolge Kyrie, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei und Gloria. Insgesamt dauert die Messe rund eine Stunde und ist wie Beethovens Missa solemnis für eine konzertante Aufführung gedacht.
Kürzlich wurde Ethel Smyth ausführliche Autobiografie neu aufgelegt und auch ins Deutsche übersetzt. In diesem Zusammenhang charakterisierte eine Buchkritik die Persönlichkeit von Ethel Smyth in knappen Worten: «Talentiert, hartnäckig und bisexuell: Ihr Werk trotzte den männlichen Vorurteilen». Es kann also spannend sein, sich gerade auch in diesem Gloria für einen ungewohnten, geistlich-religiösen Gehalt zu öffnen. Ethel Smyth schrieb zu diesem Gloria, als sie es erstmals vorspielte: «Was machte es schon, wenn Erstaunen und heimliches Schockiertsein sich auf ihren Gesichtern abzeichneten?»
Der lateinische Begriff Gloria in der katholischen Liturgie folgt der ursprünglichen Bedeutung des hebräischen «kabod», was Herrlichkeit oder majestätische Präsenz des Heiligen bedeutet. «Kabod» ist ein Ausdruck für die Manifestation göttlicher Präsenz in Kult, an heiligen Orten oder bei besonderen Erlebnissen, also eine Art fühlbare Ausstrahlung des Höchsten. Die Musik von Ethel Smyth kann dies bei offenem Zuhören emotional vergegenwärtigen.
Hörbegleiter:
Mit Fanfaren und Pfeifen stürzt sich das bläserdominierte volle Orchester allegro vivace in einen ekstatischen D-Dur-Jubel. Der Chor stimmt ebenfalls in voller Lautstärke gemeinsam mit ein: Gloria in excelsis Deo. Verschobene Akzente bringen das erwartete Gefühl für das Metrum durcheinander, ein unkonventioneller Ausbruch von Freude und Jubel und spätromantischer musikalischer Ausdruck für ein überschwängliches Hochgefühl!
Gloria in excelsis Deo
Ehre sei Gott in der Höhe
Nach der Exaltation folgt der Rückzug ins Besinnliche: Ein Solo-Tenor findet eine «dolce» überschriebene Melodie, die vom Solo-Sopran und Solo-Alt kanonartig übernommen und von den Solisten weitergeführt wird. Auch der Chor schliesst sich dieser Melodie zunächst an, insistiert aber zunehmend Frieden auf Erden fordernd und verfällt dann beim bonae volutatis in skeptische Nachdenklichkeit, als ob es für wirklichen Frieden an gutem Willen allüberall zu fehlen scheint.
et in terra pax hominibus bonae voluntatis.
und Friede auf Erden den Menschen guten Willens.
Doch der Gloria- Ruf führt über zum Laudamus-Glorificamus-Gesang des Chores. Das Fanfarenmotiv des Beginns lässt sich wieder hören und mündet in den gemeinsam gesungenen Ausruf: Deus pater onmipotens.
Laudamus te,
benedicimus te,
adoramus te,
glorificamus te,
gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam,
Domine Deus, Rex caelestis, Deus Pater omnipotens,
Wir loben dich,
wir preisen dich,
wir beten dich an,
wir rühmen dich
und danken dir, denn groß ist deine Herrlichkeit.
Herr und Gott, König des Himmels, Gott und Vater, Herrscher über das All.
Nach einem zur Besinnlichkeit zurückführenden Orchester-Zwischenspiel preist der Bass-Solist mit einer neuen rezitativisch beginnenden Melodie den Domine Filius, den Gottes Sohn. Die gleiche Melodie übernimmt der Solo-Alt zu den Worten Agnus Dei. Zusammen singen Bass und Alt ihr Duett mit ihren Bitten um Barmherzigkeit trotz der «peccata mundi» und dem Unrecht in der Welt, von Holzbläsern flehend unterstützt und begleitet.
Schliesslich stimmt auch der Chor ins Miserere ein. Immer mehr wird die Bitte zu einem verzweifelten, anklagenden Aufschrei (von den Orchesterbläsern in stampfenden Triolen bekräftigt) an den, der zu Rechten Gottes sitzt.
Domine Fili unigenite, Jesu Christe,
Domine Deus, Agnus Dei,
Filius Patris,
qui tollis peccata mundi, miserere nobis;
qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram.
Qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis.
Herr, eingeborener Sohn, Jesus Christus.
Herr und Gott, Lamm Gottes,
Sohn des Vaters,
du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme dich unser;
du nimmst hinweg die Sünde der Welt: nimm an unser Gebet;
du sitzest zur Rechten des Vaters: erbarme dich unser.
Doch der Alt mahnt leise an die Unantastbarkeit der Heiligkeit und lässt die Verzweiflung verblasssen: Quoniam tu solus sanctus singen Solo-Alt und Solo-Bass. Auch der Chor und das Orchester besinnen sich und steigern sich zur Verherrlichung des Höchsten. Wieder setzt das Orchester mit seinem unkonventionellen metrischen Rhythmus mit ein. In grosser Bewegung eilt der Chor voran, ganz konzentriert auf das solus Dominus und gerät ins taumelnde Stammeln. Es droht die Musik zu zerfallen und gar abzubrechen.
Quoniam tu solus Sanctus,
tu solus Dominus,
tu solus Altissimus, Jesu Christe,
Denn du allein bist der Heilige,
du allein der Herr,
du allein der Höchste: Jesus Christus
Doch der warme Ton der Streicher, der Solotenor (mit neu einsetzender rhythmischer Oboen-Begleitung) und schliesslich mit tröstender Stimme der Solo-Alt erinnern an den Sanctus Spiritus. Der Oboenrhythmus der Begleitung verwandelt sich langsam in neuen Orchesteraufschwung. Der Chor stimmt das Schluss-Gloria an (in gloria Dei Patris) und reisst alle zu einem jubelnden, spätromantisch grandios instrumentierten Taumel mit.
Nach einem kurzen Atemholen vor dem Amen erreicht aller Jubel und alle Liebesfreude den von der Komponistin angezielten Schlusshöhepunkt, “so as to enable a triumphant climax» (Ethel Smyth).
cum Sancto Spiritu:
in gloria Dei Patris.
Amen.
mit dem Heiligen Geist,
zur Ehre Gottes des Vaters.
Amen.
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