Antonio Vivaldi: Psalm 112* (113) « Laudate pueri » RV 601 

 

Antonio Vivaldi

geboren 4. März 1678 in Venedig 
gestorben 28. Juli 1741 in Wien

Komposition
nach 1725, wahrscheinlich für den Dresdener Hof komponiert. Manuskript mit Wasserschaden, erhalten in der Sächsische Landesbibliothek, Dresden (D-Dl): vgl. Mus.2389-E-3.       

Originaler Titel: Laudate Pueri à Canto Solo con Istromi Del Sr Anto Vivaldi

 

 

Psalmen sind Kult- und Gebetstexte aus fast tausend Jahren Religionsgeschichte des Nahen Ostens, die schliesslich von der hebräischen Bibel in der hellenistischen Zeit zu einem Buch von 150 Psalmen (von altgriechisch ψαλμός psalmós „Saitenspiel, Lied“) zusammengefasst sind. Ausgehend von Königs-Inthronisationen, wie sie als Rituale im Orient üblich waren, wurden diese gesammelten Texte in Israel immer mehr demo-kratisiert (d.h. in der königslosen Zeit statt auf einen König auf das Volk selbst bezogen) und in der späten hellenistischen Zeit auch individualisiert und auf jeden Menschen in Not- oder Danksituationen bezogen. Der hebräische Psalm 113 stammt wohl aus hellenistischer Zeit (2.-3. Jhd. v.Chr.), ist also ein jüngerer Text im Buch der Psalmen.

Der Vivaldi-Forscher Michael Talbot vermutet, dass Vivaldi die Vertonung dieses Psalms (RV 601) i nach 1725 für den Fürstenhof von Dresden komponiert hatte, wo gute Kollegen von Vivaldi (die Musiker Heinichen, Pisendel, Lotti u.a.) das musikalische Geschehen am Hof prägten. Dort wirkte auch die berühmteste Sopranistin ihrer Zeit, die als «la nuova Sirena» gefeierte Sängerin Faustina Bordoni. Ob das Stück von ihr aufgeführt wurde, ist nicht überliefert, doch ist der Anspruch an höchste Virtuosität in den Noten der Vokalstimme (zwei Oktaven Umfang bis ins zweigestrichene D’’) klar ersichtlich.

Das Besondere an dieser Psalmvertonung ist: es fehlt der Chor. Normalerweise werden Psalmen, die in der Vesper am Sonntag gesungen wurden, mit einem Chor-Part versehen. Hier scheint schon die konzertante Besetzung darauf hinzuweisen, dass ein feierlicher Gottesdienst mit einer besonderen Virtuosin gefeiert werden sollte. Natürlich zur Ehre Gottes und speziell auch des Fürsten. Bei aller Pracht der Musik darf diese suspekte Form der Religiosität, die letztlich Macht mit Gott legitimiert, nicht vergessen werden. Doch die Musik möchte den Hörenden wieder auf die ursprüngliche Bedeutung dieses Psalms öffnen: den Namen über allen Namen nicht zu vergessen und zu loben.  

Psalm 112 (113) gehört zur klassischen Reihe der liturgischen Sonntagsvesperpsalmen und damit zu den meistvertonten biblischen Texten. Allein Vivaldi selbst hat diesen Psalm viermal vertont, wie das Ryom-Verzeichnis (Kürzel RV) belegt: Antonio Vivaldi, Laudate pueri RV 600–603.


*Zählung der Septuaginta und Vulgata, der beiden alten, griechischen und lateinischen Übersetzungen der Bibel. Heutige Bibelausgaben folgen dem masoretischen Text, die heute maßgebliche hebräische Textversion.

 

Hier zu hören (ca. 24 Min.):

 

Hörbegleiter:

 

Allegro non molto
Tänzerisch begleiten die Streicher  den freudigen Auftritt des Soprans. 
Das Wort „Laudate“ wird virtuos und in vielfältigen Figurationen immer neu gesungen, als ob des Staunens und Lobens kein Ende wäre, für sie und alle Gleichge-sinnten in ihrem Umkreis.

Allegro
Triller verzieren eine sich anschliessende kantable Melodie. Ausgesprochen lange Phrasen symbolisieren dieses Singen ohne Ende, bis in Ewigkeit.


Laudate pueri Dominum laudate nomen Domini 









Sit nomen Domini benedictum ex hoc nunc et usque in saeculum


Lobet, ihr Knechte des Herrn: lobet den Namen des Herrn. 









Der Name des Herrn 
sei gepriesen von nun an bis in Ewigkeit.

Andante
Eine mystische Stimmung entsteht beim Aufgang der Sonne im Orchester. Die Stimme wiederholt diesen Aufstieg bis zum Kulminationspunkt (das hohe D!), und sinkt bei „occasum“ wieder. Und führt zu weiterem, ausführlichem Lobe des höchsten Namens, den es  geben kann.

Larghetto
Der Rhythmus wechselt in eine typische Siciliana: Die Musik lässt einen Gott hören, der über allen Völkern tanzt und schwebt  und speziell die Niedrigen und Armen schützt.

Allegro molto
Die Musik wird heftiger und stellt sich auf die Seite eines Gottes, der erregt gegen die herrschenden Zustände protestiert und die Elenden erhebt. Die Sängerin leiht diesem Protest ihre virtuose Stimme.

Allegro
Melodischer und in etwas strengerem Rhythmus besingt der Sopran ihre Vision: der Arme und die stillende Mutter dürfen wirklich bei den Fürsten wohnen. Um so fröhlicher ist der bewegte Ausklang dieses Wunsches.

Larghetto
Unerwartet und in abgeklärter Ruhe setzt eine Traversflöte ein, ein wunderschönes Solo als Dank für Gott, dessen Ehre die Gerechtigkeit ist. Flöte und menschlicher Gesang vereinen sich. Die Flöte singt weiter und zieht sich zuversichtlich in solch grosses Geheimnis zurück.

Allegro
Der Mensch (Gesang) kehrt aber zurück zur Arbeit an der auf Gerechtigkeit wartende  Geschichte. 

Das „Amen“ wird wie ein Alleluja mit virtuosem Koloraturgesang festlich bekräftigt, vielleicht auch damals während eines festlichen Gottesdienstes in Dresden bei Anwesenheit der Mächtigen des fürstlichen Hofes.   


A solis ortu usque ad occasum laudabile nomen Domini










Excelsus super omnes gentes Dominus super caelos gloria eius
Quis sicut Dominus Deus noster qui in altis habitat et humilia respicit in caelo et in terra



Suscitans a terra inopem et de stercore erigens pauperem 







Ut conlocet eum cum principibus cum principibus populi sui qui habitare facit sterilem in domo matrem filiorum laetantem 





Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto.









Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto.sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum.

Amen.


 


Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei der Name des Herrn gelobt.









Hoch erhaben über alle Völker ist der Herr, und seine Ehre geht über alle Himmel hin. Wer ist wie der Herr, unser Gott, der in der Höhe thront und auf das Niedrige sieht im Himmel und auf der Erde?

Er erhebt den Elenden vom Boden, und aus dem Kot richtet er den Armen auf,






um ihn zu den Fürsten seines Volkes zu setzen. 
Er lässt die Unfruchtbare als fröhliche Kindesmutter im Hause wohnen.




Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.









Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist,wie im Anfang, soauch jetzt und allezeit und in Ewigkeit.

Amen.

Hinweis für Musikinteressierte

Website: Unbekannte Violinkonzerte